Entdeckung
Er war im 19. Jahrhundert der einflussreichste
Musiker der Niederlande. Johannes Verhulst war
hoch geschätzt; als Dirigent hat er unter anderem die
Bachrenaissance in Holland angeführt. Kein Geringerer
als Felix Mendelssohn Bartholdy nahm den
talentierten Komponisten unter seine Fittiche und lud
ihn zum Studium nach Leipzig ein. Das Utrecht String
Quartet präsentiert jetzt die ersten beiden Streichquartette
Verhulsts auf einer neuen CD und schließt
damit wieder eine hochkarätige Repertoirelücke.
Ohrwurm
Mendelssohn hat die Entstehung der beiden Quartette
eng begleitet. Und obwohl der Leipziger Einfluss nicht
zu überhören ist, erarbeitet sich der Komponist eine
sehr eigene Tonsprache. Weit ausschwingende
Melodiebögen mit Ohrwurmqualität erinnern an
Schubert; gerade der Kopfsatz des ersten Quartetts
stellt zudem allerhöchste technische Ansprüche an
die Spieler. Das ist eine Aufgabe ganz nach dem
Geschmack der Utrechter, die mit souveräner
Gelassenheit und frischem Elan die Werke ihres
Landsmanns aus der diskografischen Taufe heben.
Doppelpass
Von besonderem Reiz sind die langsamen Sätze.
Robert Schumann äußerte sich geradezu enthusiastisch
über das wundervolle Adagio sostenuto des
ersten Quartetts, dessen persönliche Musiksprache er
besonders hervorhebt. Die Zuneigung war durchaus
wechselseitig: Als Verhulst in späteren Jahren zum
Hofkapellmeister in Den Haag ernannt wurde und damit
zur wohl einflussreichsten Persönlichkeit im
niederländischen Musikleben avancierte, setzte er
sich besonders für die Musik Schumanns und seines
frühen Gönners Mendelssohn ein.
Schneckenpost
Nicht ohne Tragik endet die Karriere Verhulsts: Mit
der fortschrittlichen neudeutschen Musik von Liszt
und Wagner konnte er nichts anfangen und versuchte
sie in seiner Heimat zunächst erfolgreich zu
behindern. Nach und nach setzte sich jedoch der
Zeitgeist durch, und Verhulsts Stern verblasste immer
mehr. Ein Brief Robert Schumanns aus dem Jahre
1844, in dem dieser ihm die Widmung seines op. 52
anträgt, erreicht Verhulst erst mit einer Verspätung
von 38 Jahren – da war Schumann schon lange
verstorben ... Später Trost für einen bereits zu
Lebzeiten Vergessenen.