Überraschungsmoment
Mit seinem Debüt bei MDG präsentiert der russische
Pianist Lev Vinocour seinen Landsmann Tschaikowsky in
einer auch für Kenner überraschenden Bandbreite.
Ersteingespielte Originalwerke, einfühlsame klangmalerische
Bearbeitungen und ausgesprochene
Virtuosenstücke umrahmen den berühmten Jahreszeiten-
Zyklus. Lev Vinocour vermag jene beseelte
glutvolle russische Musik aus dem Steinway
Konzertflügel von 1901 zu zaubern, die diese (SA)CD zu
einem audiophilen Ohrenschmaus macht.
Marketing
Dem Zeitschriftenverleger Nikolai Bernard, welcher auf
der Suche nach einem interessanten Stoff für den
1876er Jahrgang seiner „Nouvelliste“ war, sind die zwölf
Miniaturen zu verdanken, mit denen Tschaikowsky den
Jahreskreis beschreibt. Motiviert durch ein üppiges
Honorar entstanden kurz nacheinander monatliche
Kostbarkeiten wie „Karneval“, „Lied der Lerche“, „Ernte“,
„Jagd" und „Weihnachten“. Als Kaufanreiz für das
russische Publikum fügte Bernhard jeweils einige Zeilen
beliebter Gedichte hinzu. Nicht nötig: Heute gehören die
„Jahreszeiten“ zu den berühmtesten Werken des
Komponisten.
Feuerwerk
Dumka, eine „ländliche russische Szene“, war im
Gegensatz zum Jahreszeiten-Zyklus von vornherein für
den Export bestimmt. Tschaikowsky komponierte 1886
auf Bitten seines Pariser Verlegers innerhalb weniger
Tage ein Virtuosenstück für den Konzertsaal, das noch
heute durch feurige Arabesken und perlende Läufe
fasziniert.
Feintuning
Einen zusätzlichen Aspekt erhält diese Einspielung
durch geschickt ausgewählte Arrangements, die
Tschaikowskys von eigenen und fremden Werken
anfertigte, so das bei Vinocour atemlos
dahinstürmende „Perpetuum mobile“ von Carl Maria
von Weber. Oder die pianistische Opulenz, mit der
Franz Liszt der Polonaise aus „Eugen Onegin“ die
Reverenz erweist…
Weltbürger
In St. Petersburg liegen die Wurzeln von Lev Vinocour,
der bereits während seiner Studienzeit am Moskauer
Konservatorium, am Royal Northern College of Music in
Manchester sowie bei der Fondazione per il Pianoforte
am Comer See internationale Beachtung auf sich zog.
Der mittlerweile in ganz Europa als Geheimtipp gefeierte
Pianist hat sich mit sehr starken Solo- und
Orchesterauftritten, sowie durch systematische Studien
einzelner Musikgattungen und Komponisten innerhalb
kürzester Zeit einen Namen als intellektueller Virtuose
gemacht. So ganz nebenbei beherrscht er noch 27
Sprachen und Dialekte, eine große Hilfe, wenn er als
Gastdozent eine interdisziplinäre Meisterklasse leitet, die
sich gleichzeitig an Musikwissenschaftler und Pianisten
richtet.