Punktsieg
Die Etüden „opus 22 wird hoffentlich von den Klavierspielern genehmigt werden. Zwei Hände und ein guter Anschlag genügen, um die jubelnden Klangorgien zum Ausdruck zu bringen. Ich meine, sie können sich auch im Konzertsaal hören lassen.“ Es sind weniger Finger- als vielmehr Kompositionsstudien, mit denen Josef Hauer die von ihm erfundene Zwölftontechnik hier auf den Prüfstand legt – allerdings finden seine Werke heute so gut wie nie mehr den Weg auf die Konzertbühnen, so dass Steffen Schleiermacher wieder mal mit einer veritablen Ersteinspielung punkten kann.

Das Einzig Wahre
Was noch mehr erstaunt ist die Widmung gerade an Arnold Schönberg, mit dem er doch so erbittert um die Erfindung stritt. Der Zwist mit dem ungleich populäreren Schönberg sollte in dem Stempel kulminieren, den Hauer ab 1937 unter alle seine Werke setzte: „Der geistige Urheber und immer noch einzige Kenner der Zwölftonmusik“.

Intuition
Dabei haben aus heutiger Sicht beide Systeme nichts miteinander zu tun, Schönberg - in der direkten Folge der Hochromantik – sucht Abwechslung und Expressivität in einer absoluten Gleichberechtigung der 12 Töne ohne jeden tonalen Aspekt – und wie tonal, entspannt und unangestrengt wirkt Hauers Musik doch über weite Strecken und lässt den Hörer doch ohne jedes Bezugssystem, nur der Kraft der Intervalle vertrauend. „Alles Schroffe, Gegensätzliche, Affektiose, die Stimmungen, das Sinnliche, das Erotische, müssen ausgeschaltet sein, damit die Intuition möglich ist…“ Dass Hauer in keiner der Etüden Hinweise auf Tempovorstellungen, Dynamik, Phrasierung oder Artikulation gibt, ist dabei nur logisch und eine besondere Herausforderung an die Intuition des Spielers.

Wegweiser
Das brüchige Eis, auf das sich jeder Interpret der unerhörten Werke Hauers begibt, trägt nur durch die Sensibilität einer Künstlergestalt wie Steffen Schleiermacher, dessen Interesse nicht nur als Pianist und Komponist, sondern auch als Leiter des „Ensemble Avantgarde“ seit jeher auf zeitgenössische Musik gerichtet ist: Schleiermacher, der sich mit dieser Veröffentlichung bereits zum wiederholten Mal mit Joseph Matthias Hauer auseinandersetzt, ist eben ... “a truly outstanding and fascinating musician“ (Gramophone).