skandalös
Legendär ist die Uraufführung von Strawinskys „Le
sacre du printemps“, die 1913 in Paris einen deftigen
Skandal auslöste. Dabei hätte das gut informierte
Publikum Bescheid wissen können: Bereits ein Jahr
zuvor hob der Komponist das Jahrhundertwerk
eigenhändig aus der Taufe – in der Fassung für
Klavier zu vier Händen. Das Pianoduo Trenkner-
Speidel hat sich jetzt dieser vierhändigen
Klavierversion angenommen. Und in der reizvollen
Gegenüberstellung mit der späteren
Orchesterfassung durch das Beethoven Orchester
Bonn werden Werkdetails deutlich, die einen
aufschlussreichen Tiefenblick in eines der
bedeutendsten Werke der Musikliteratur erlauben.
traumhaft
Wie „ein schöner Albtraum“ sei die Erinnerung an
diese Aufführung, schreibt Claude Debussy noch
Jahre später, der das zweite Paar Hände hierbei zur
Verfügung stellte und dessen Bewunderung für den
20 Jahre jüngeren Kollegen fortan in grenzenlosen
Enthusiasmus umschlug. Und besser kann man die
faszinierende Ambivalenz zwischen eruptiver Gewalt
und betörender Farbigkeit nicht zum Ausdruck
bringen. Der Rhythmus wird im „Sacre“ zum
Motivträger – was für eine völlig neue Erfahrung!
sicher
Mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegen sich
Evelinde Trenkner und Sontraud Speidel durch das
enorm anspruchsvolle Particell. Die langjährige
Vertrautheit der beiden Pianistinnen erlaubt eine
frappante Präzision im Zusammenspiel, die dem
suggestiven Rhythmus der Partitur zu enormer Wucht
verhilft. Durch die Reduktion auf den Klavierklang
werden horizontale Melodiepartikel in nie
dagewesener Klarheit hörbar – transparenter kann
man den „Sacre“ nicht erleben.
extrem
Die Live-Einspielung des Beethoven Orchester Bonn
offenbart daneben das ganze Spektrum orchestralemotionale
Bandbreite. Schon der Beginn mit dem
berühmten Fagott-Solo in quälend-hoher Lage gerinnt
zum Ohrwurm, und wenn Stefan Blunier die
gewaltigen Klangmassen seines Orchesters zu
orgiastischen Höhepunkten treibt, ist die verstörendfaszinierende
Wirkung der Uraufführung mit den
Händen zu greifen. Da das Ganze in
dreidimensionalem 2+2+2 Klang ertönt, ist die
Suggestion des extatischen heidnischen
Frühlingstraums perfekt.