Resonanz
In bester böhmisch-jüdischer Virtuosen-Tradition reiste
Hans Seeling Mitte des 19. Jahrhunderts durch die
Salons und Konzertsäle Europas. Wie das Cover
andeutet blieb Seeling auch einige Zeit in Venedig, bevor
er viel zu früh in seiner Heimatstadt Prag den Folgen
eines Lungenleidens erlag. Aus der hochinteressanten
kompositorischen Hinterlassenschaft des
Klaviervirtuosen hat Karl-Andreas Kolly jetzt eine
bemerkenswerte Auswahl getroffen, die ein erhellendes
Licht in eine bislang völlig im Dunkeln liegende Ecke der
romantischen Klaviermusik wirft.
Reverenz
Über Seelings Leben ist nur sehr wenig bekannt, selbst
über seine Klavierlehrer weiß man nichts. Seine Musik
offenbart allerdings Vorbilder: Seine Etüden offenbaren
unmittelbare Verbundenheit mit Chopin, auch der
schwermütige Charakter der Barcarole erinnert an die
eine oder andere Mazurka des großen Polen. Hin und
wieder findet man Anklänge an Schumann oder die
anderen großen Virtuosen seiner Zeit, von Moscheles bis
Henselt.
Respekt
Dabei schöpft Seeling aus weit gespannten
Melodiebögen von geradezu gesanglicher Qualität.
Besonders die „Schilflieder“ nach Lenaus damals
überaus populären Gedichten laden fast unmittelbar zum
Mitsingen ein. Und selbst die Etüden lösen sich von der
technischen Übung hin zu äußerst aparten
Charakterstücken.
Revue
„Memoiren eines Künstlers“ betitelt Seeling sein op. 13,
das er auf dem Sterbebett nach dem Zeugnis eines
Freundes zu Papier brachte. Über programmatische
Details schweigt der Komponist sich aus, lediglich die
letzten beiden Stücke mögen mit ihren Titeln „Marche
funèbre“ und „Apotheose“ auf eine biografische
Beziehung weisen. Faszinierend, wie es Seling versteht,
den Hörer unmittelbar mit auf seinen Lebensweg zu
nehmen: Ein tönende Vita, die von Karl-Andreas Kolly
aufs Liebevollste und mit geradezu lässig eleganter
Virtuosität dem Vergessen entrissen wurde.