Russische Weite
Mit ungeheurer Präzision vermag der 65-jährige
Mark Gorenstein seinen 120-köpfigen Klangkörper
zu motivieren. Nach Eugene Onegin folgt in MDGs
Live-Reihe mit Mahlers 9. Sinfonie sofort ein
weiterer Bolide der symphonischen Spätromantik
mit dem Staatlichen Russischen Sinfonieorchester.
Und es lohnt sich, man spürt vom ersten
Augenblick an den Sog, mit dem die riesigen
klanglichen Entwicklungen mit Herzblut durchlebt
werden und in den Trugschlüssen des berühmten
Adagio-Finalsatzes kulminieren. Mahler mit
russischer Seele – wer kann sich dem entziehen.
Testament
Mahlers Seele war in Aufruhr, als er 1909 sein
letztes vollendetes Werk komponierte. Der Tod der
Tochter, die Diagnose einer unheilbaren Herzkrankheit
und die Aufgabe seiner Direktorenstelle
an der Wiener Oper hatten seine Welt auf den Kopf
gestellt. Diese Ereignisse berührten ihn so sehr,
dass er kaum in der Lage war, an frühere
Ausdrucksformen anzuknüpfen. Im Gegenteil:
Mahlers Neunte ist geprägt von akuter Subjektivität;
sie handelt von der Überwindung einer
persönlichen geistigen Krise, von der
„Wiedergeburt“ eines Menschen und ist gleichzeitig
ein einzigartiges, nonverbales, autobiografisches
Testament.
Universum
Aufbau und Harmonik von Mahlers 9. Sinfonie
weichen deutlich von der klassischen Form ab.
Zwei große langsame Sätze umrahmen die beiden
Scherzi unterschiedlichen Charakters, die Tonarten
wechseln und Anklänge zu Schönbergs
Experimenten sind erkennbar. Die orchestrale
Struktur ist zudem so dicht, dass Mahler mehr als
einmal die Grenzen menschlicher Auffassungskraft
touchiert. Und dann dieser völlig untriumphale
verinnerlichte, versöhnliche, nie enden wollende
Schlusssatz, in dem die Musik letztlich unmerklich
in die Sphäre des Unhörbaren verschwindet. Das
ist ergreifend und ungeheuerlich. Und beeindruckend
gelungen.
Nachklang
"Er hat das wunderbar dunkel klingende Moskauer
Traditionsorchester…zu einem echten Präzisionsensemble
geformt, das mit ansatzloser Dynamik
und spürbarer Herzensmotivation seinem
impulsreichen Dirigat folgt... Einen besseren
Onegin habe ich seit Jahren nicht mehr gehört."
(Stereoplay)