Anstoß
Vor mehr als 30 Jahren bereits hat Hermann Max mit
der Rheinischen Kantorei einige Motetten des damals
nahezu vollkommen vergessenen Gottfried August
Homilius für MDG aufgenommen. Dass er mit dieser
Pioniertat am Anfang einer regelrechten Renaissance
des Bachschülers Homilius stand, konnte niemand
ahnen. Die nur auf Vinyl veröffentlichte Produktion
war lange vergriffen. Umso willkommener ist jetzt die
sorgfältig aufbereitete CD-Neuauflage dieses schon
historischen Schatzes aus dem MDG-Archiv.
Ersatzbank
Wann und wie lange genau Homilius beim alten Bach
in die Lehre ging, ist nicht bekannt. Sein Talent wurde
jedoch früh entdeckt: Bereits als Student der Rechte
vertrat er in Leipzig den Stelleninhaber auf der
Orgelbank der Nicolaikirche. Seine Lebensaufgabe
fand er schließlich an der Dresdner Kreuzkirche –
neben dem Amt des Thomaskantors die
bedeutendste kirchenmusikalische Position in
Sachsen. Hier führte er den Kreuzchor zu einer bis
dahin ungekannten Blüte, deren Glanz weit über die
Elbresidenz hinausstrahlte.
Auswechselung
Dass Homilius bei Bach das kontrapunktische
Handwerk bis zur Perfektion erlernte, versteht sich
von selbst. In seinem Schaffen ist der Umbruch von
der barocken, auf antiken mathematischen
Proportionsvorstellungen beruhenden Ästhetik hin zu
einer am Individuum orientierten Kompositionskunst
hervorragend nachzuvollziehen. Die Motetten stehen
schon am Ende dieser Entwicklung: Zu Gunsten
homophoner Strukturen und vergleichsweise
einfacher Harmonik wird die komplexe barocke
Tonsprache abgelöst. Eine Fuge kommt in den
ausgewählten Motetten nur ein einziges Mal vor und
verleiht dem vertonten Text dadurch ein besonderes
Gewicht: Als Schluss der Vertonung des zentralen
Gebets der Christenheit, des Vaterunser.
Startelf
Hermann Max, der heute zu den bedeutenden
Wegbereitern der historisch informierten Musikpraxis
zu zählen ist, hat mit der Rheinischen Kantorei den
subjektiven Tonfall dieser Musik perfekt getroffen. Die
persönliche Ergriffenheit, die aus der Musik spricht,
sei es angesichts der Zerstörung Dresdens im
7jährigen Krieg oder mehr allgemein in der Vertonung
des 23. Psalms, lässt niemanden unberührt. Und dass
MDG von Anfang an auf ungekünstelten Klang und
höchstwertige Technik Wert legte, macht diese CD
auch nach über 30 Jahren zu einem ungetrübten
Hörvergnügen.