Übertrager
Jazz auf der Orgel? Mit der Musik des
legendären Bill Evans geht das ganz
hervorragend, wie die neue Aufnahme von
David Schollmeyer eindrucksvoll unter Beweis
stellt. Aus allen Schaffensphasen des
einzigartigen Jazzpianisten hat Schollmeyer
Stücke ausgesucht, die neben einem
erhellenden Überblick über Evans Lebenswerk
auch ein ebenso audiophiles wie genüßliches
Orgelportrait seiner großen Bremerhavener
„Hausorgel“ ergeben.
Spannung
Oft bewundert wurden Evans herausragende
pianistische Fähigkeiten, die sich weniger in
artistischer Virtuosität als im überaus
klangsensiblen Spiel äußerten. Seine
großartigen Soli sind meist einstimmig
gehalten – der Saxofonist Lee Konitz war hier
sein großes Vorbild. Die Orgel gibt diesen
Improvisationen ihren bläserischen Charakter
zurück – ein Aha-Effekt für manchen
Jazzkenner!
Triode
Evans war ein großer Liebhaber des Jazz-
Walzers. Gleich fünf derartige Preziosen –
natürlich auch Evans bekannteste Komposition
“Waltz for Debby” – finden sich in
Schollmeyers Sammlung. Schon in der
Originalversion orgelmäßig erscheint hingegen
das singuläre „Peace Piece“, eine freie
Improvisation über einen einzigen ostinaten
Takt. Wie eine konzentrierte Passacaglia oder
ein englisches Ground entfaltet das berühmte
Stück auf der Orgel eine ungemein suggestive
Wirkung.
Potenzial
Das (Kontra-)Bassfundament wird meist vom
äußerst präzise ansprechenden Prinzipal 16’
der Beckerath-Orgel in der Großen Kirche zu
Bremerhaven gebildet. Die elektrischen
Koppeln erlauben auch bei voller Registrierung
absolute rhythmische Stringenz – eine
Grundvoraussetzung für den Groove, den
Schollmeyer wunderbar leichtfüßig
durchzuhalten vermag. In dreidimensionalem
Klangbild auf Super Audio CD ist dieses
ungewöhnliche Programm für jazzferne
Orgelfreunde ebenso wie für orgelferne
Jazzfreunde ein echter audiophiler
Ohrenschmaus.