Parallele
Als Béla Bartók sich mit dem Phongraphen aufmachte, die Volksmusik Siebenbürgens, Ungarns und Rumäniens zu sammeln und zu erforschen, da hatte 3.000 Kilometer weiter südöstlich der Mönch Komitas bereits ein stattliches Archiv mit Gesängen und Tänzen, kirchlichen wie volkstümlichen, aus seiner Kultur, dem alten Armenien, zusammengetragen. Steffen Schleiermacher zeigt mit einem ungewöhnlichen Doppelportrait Unterschiede wie Gemeinsamkeiten dieser beiden Künstlerpersönlichkeiten auf, deren Kompositionen ganz entscheidend von der Auseinandersetzung mit der urwüchsigen Musik ihrer Heimat geprägt sind.

Schnittmenge
Obwohl Komitas viel durch Europa reiste, um seine Forschungsergebnisse zu präsentieren, ist eine persönliche Begegnung mit Bartók nicht belegt. In Armenien sprechen Musiker aller Stilrichtungen, vom Kirchenchor bis zum Heavy Metal, seinen Namen bis heute allerdings mit größter Ehrfurcht aus. Dabei wurde er zu Lebzeiten von vielen Seiten angefeindet: Dem Klerus passte der von Komitas postulierte gemeinsame Ursprung von Volks- und Sakralmusik nicht ins theologische Konzept; armenische Nationalisten verurteilten seinen interkulturellen Ansatz; konservative Kreise beklagten eine Profanisierung und Kommerzialisierung altarmenischen Kulturguts.

Quadrat
Komitas gelang es auf frappante Weise, die Klänge volkstümlicher Instrumente in einen Klaviersatz zu übertragen. So meint man in den „Sieben Tänzen“ das Tambourin zu hören, oder in „Shoror“ auch den berühmten Duduk, der heute als armenisches Nationalinstrument gilt. Auf komplexe Harmonisierung oder kontrapunktische Verarbeitung verzichtet er hingegen vollständig; einzig das auf Tetrachorden, also Viertonreihen aufbauende Tonsystem verleiht der Musik eine eigentümliche Exotik.

Potenz
Davon ist auch Bartóks Klaviermusik immer wieder durchdrungen. Schleiermachers Auswahl reicht von den frühen „Volksliedern aus dem Komitat Csik“ mit einfachen Liedtranskriptionen über die populären und deutlich anspruchsvolleren „Rumänischen Volkstänze“ bis zu den selten gespielten „Rumänischen Weihnachtsliedern“, die ein weniger besinnliches, dafür umso ausgelasseneres Christfest vermuten lassen. Tanz und Freude statt stiller Nacht – Gaudete!