Prisma
Vielfalt als Prinzip: Steffen Schleiermacher liefert in
seiner neuesten Veröffentlichung ein fantastisches
Kaleidoskop der Klaviermusik der 1950er Jahre.
Angeregt durch John Cages Buch „Notations“, in
welchem Cage Werkausschnitte und Statements von
über 200 Kollegen zusammengetragen hatte, hat sich
Schleiermacher auf die Suche gemacht. Die Fundstücke
könnten unterschiedlicher nicht sein, und
darunter befinden sich etliche bisher ungehobene
Schätze: Luigi Dallapiccolas einzige Klavierkomposition
ist ebenso vertreten wie das fremdartigfernöstlich
anmutende „The willows are new“ von
Chou Wen-Chung.
Tiefenschärfe
Während Dallapiccola trotz zwölftönig-kontrapunktischer
Kompositionsweise seine italienischen
Wurzeln mit Belcanto-Tradition nicht verleugnen kann,
entfaltet Chou Wen-Chung ein chinesisch-folkloristisches
Klangkolorit mit frappierenden Wirkungen,
wenn z. B. das Klavier mit glockenartigen Vorschlägen
traditionelles chinesisches Instrumentarium
imitiert. Der große Klangzauberer Bernd Alois
Zimmermann ist mit seinem einzigen seriellen Werk
zu hören, und Paul Dessau mit drei zwölftönigen
Intermezzi, die angesichts des kulturpolitischen
Mainstream in der DDR zur Stalinzeit als politisches
Bekenntnis gelten müssen.
Blitzlicht
Sylvano Busotti und Christian Wolff liefern Beiträge für
mehrere Klaviere, beide unter Einbeziehung des
Zufalls. Busotti verlangt vom Interpreten die Umsetzung
einer nicht näher erklärten Grafik – eine Steilvorlage
für Steffen Schleiermacher, der dazu noch
eine überraschende vokale Einlage liefert … Witold
Lutoslawskis „Bukoliki“ beleuchten in moderner
Tonsprache traditionelle polnische Volksweisen. Und
mit archaischer Gewalt kommt Galina Ustwolskajas
Sonate daher – kompromisslos in ihrer Einfachheit
und gerade dadurch von besonderem Reiz.
Weitwinkel
Eindrucksvoll zeigt Steffen Schleiermacher, dass es
neben der Seriellen Musik in den 1950er Jahren noch
viel Interessantes zu hören gab. Und die außerordentliche
Qualität der Kompositionen, die sich oft in
keine Schublade einsortieren lassen, kommt in seinem
einfühlsam markanten Spiel besonders zur
Geltung.