Spannung
Voll und warm tönt das Mezzoforte, ein sanftes
Crescendo, nur wenig anschwellend, bevor sich der Klang
in ein säuselndes Pianissimo zurückzieht. Changierende
Farben entwickeln sich vollkommen bruchlos, und in
schier endlosem Spannungsbogen schwingt sich die
Königin der Instrumente zum prachtvollen Fortissimo in -
Georg Muffats Passacaglia: Andreas Sieling präsentiert
die Sammlung „Alte Meister“ in der romantischen
Ausgabe von Karl Straube an der historischen Sauer-
Orgel im Berliner Dom.
Kapazität
Eine Sensation: Im Jahre 1904 veröffentlicht Karl Straube
– gerade zum Thomaskantor berufen - seine
Notenausgabe mit Musik von Bach, Walther, Pachelbel,
Buxtehude und anderen, sämtlich veralteten
Komponisten, die man allenfalls noch aus dem
Theorieunterricht kannte. Sie waren jetzt den modernen
Möglichkeiten der Orgel gemäß so eingerichtet, dass sie
absolut den Zeitgeschmack treffen mussten. Detaillierte
Spiel- und Registeranweisungen, selbstverständlich der
Einsatz der „Walze“, die durch stetiges Hinzufügen neuer
Register gewaltige Crescendowirkungen ermöglicht,
neuartige Registerfarben und raffinierte Tempowechsel
sorgen für eine bis dahin ungeahnte und unerhört
spannungsvolle orchestrale Wirkung der barocken
Meister.
Widerstand
„Natürlich darf man das heute nicht mehr so spielen –
aber es hat einfach Spaß gemacht…“ wird eine Studentin
Straubes zitiert, der sich zu der Zeit längst auch für die
Renaissance der „historischen“ Klänge interessierte und
sogar den heutigen Erkenntnissen der historischen
Aufführungspraxis den Boden bereiten sollte. Und gerade
das macht diese Ausgabe für uns heute so wertvoll,
erlaubt sie doch den klangvollen Blick auf eine inzwischen
auch schon wieder historische Aufführungspraxis.
Potenzial
Andreas Sieling, Domorganist zu Berlin, kann an seiner
„Hausorgel“ mit Wonne aus dem Vollen schöpfen: Mit
über hundert Register, verteilt auf 4 Manuale plus
Rückpositiv und Pedal bietet das Instrument einen schier
unendlichen Klangreichtum. Als die Orgel 1905 von der
berühmten Werkstatt Wilhelm Sauer aufgestellt wurde,
war es die größte Orgel in Deutschland. Glücklicherweise
ist sie bis heute in der ursprünglichen Gestalt erhalten, so
dass diese im raumfüllenden 2+2+2 Mehrkanalklang
produzierte Aufnahme einen authentischen Blick in die
Interpretationsgeschichte barocker Orgelmusik zu Beginn
des 20. Jahrhunderts ermöglicht.