Licht und Schatten
Die Berliner Domkantorei unter der Leitung von
Tobias Brommann lässt mit Aufnahmen liturgischer
Gesänge und Motetten von Albert Becker ein
wichtiges Stück Berliner Musik-Geschichte
aufleuchten: Die engagierten Sänger erweisen dem
früheren Leiter des Berliner Domchors eine Referenz
und rücken seine festlich besetzten vier- bis
achtstimmigen Chorwerke strahlend ins Bewusstsein
einer breiten Öffentlichkeit.
Wunsch und Wirklichkeit
Der 1834 in Quedlinburg geborene Albert Becker
wirkte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als
Musiklehrer und Komponist in Berlin, bevor er 1889
als einer der Nachfolger von Felix Mendelssohn
Bartholdy die Leitung des traditionsreichen Domchors
übernahm. Auf Geheiß des Kaisers schlug Becker
kurz darauf die ehrenvolle Einladung als Thomaskantor
aus. Als Zeitgenosse von Verdi, Bruckner, Liszt
und Brahms ist Becker tief in der Romantik
verwurzelt, doch greifen gerade seine liturgischen
Werke auch immer wieder barocke und klassische
Elemente auf.
Himmel und Hölle
Auf kleinstem Raum verbindet Becker höchst filigran
Musik und Text. Seine äußerst anspruchsvollen
Motetten werden so einem eigenständigen künstlerischen
Anspruch gerecht und finden auch in einer
festlichen Liturgie ihren Platz. In den gewaltigen,
achtstimmig doppelchörigen Psalmvertonungen klingen
ebenso die Freude über die Auferstehung wie der
überwundene Höllenstachel an. Eine ausdrucksmäßige
Bandbreite, die dem Chor ein Höchstmaß an
leidenschaftlicher Darstellungskraft abverlangt.
Ost und West
Die Berliner Domkantorei ist direkt nach dem Bau der
Mauer im Jahr 1961 entstanden. In ihr versammelten
sich die Sänger des ehemaligen Versöhnungs-
Kirchenchors, deren Gotteshaus im „Todesstreifen“
zwischen Ost und West lag und daher gesprengt
wurde. Trotz vieler staatlicher Repressionen in der
„Vorwendezeit“ entwickelte sich der Chor zu einem
sehr ambitionierten Klangkörper mit 140 Sängern und
Sängerinnen, die ihre vorrangige Wirkungsstätte
heute im Berliner Dom haben.